Oft wird der harmonische Fluss und die Eleganz der Qigong-Bewegungen bewundert. Diese beruhen auf den so genannten drei äußeren und drei inneren Harmonien. Jede Bewegung wird achtsam im äußeren Erscheinungsbild koordiniert und mental von innen her aufgebaut. Es geht also um viel mehr als nur äußere Eleganz.
Ein bewusster, entspannter und dennoch fester Stand der Füße gibt den Übenden das Gefühl, im Boden verwurzelt zu sein und ihren Standpunkt sicher zu behaupten. Deshalb ist Qigong eine hervorragende Sturzprophylaxe auch für ältere Menschen. Beine und Hüften übertragen diese Krafterfahrung über die Hüften und Schultern bis in die Arme und Hände. Und ein sicherer Stand, verbunden mit gleichmäßiger Atmung, wirkt beruhigend auf die Psyche.
Der Geist kommt zur Ruhe und kann aus dieser offenen, wachen Aufmerksamkeit heraus die Intention einer Bewegung aufrufen; das Qi folgt dieser Intention und führt die Körperkraft von innen nach außen - bis in die Fingerspitzen. Diese Erfahrung lässt sich auf das Alltagsleben übertragen und hift uns, auch unerwarteten Situationen und unseren Mitmenschen ruhig, aufrecht und selbstsicher zu begegnen.
Die drei äußeren Harmonien
Die drei äußeren Harmonien sorgen in der Bewegung für die Koordination von
- Hand- und Fußbewegungen,
- Knien und Ellbogen und
- Schultern und Hüften.
Schultern und Hüften bewegen sich in der Regel gleichmäßig und synchron: der ganze Torso bildet eine nicht starre, aber in sich stabile Struktur um die aufrechte Wirbelsäule herum. Dadurch entsteht eine federnd-kraftvolles und zugleich geschmeidiges Gefühl von Verbundenheit im ganzen Körper, das sofort verschwindet, wenn die Gleichmäßigkeit der Bewegung verloren geht.
Knie und Ellbogen sind im Bild des Baums die starken Äste und Stammwurzeln. Sie übertragen die Energie in und aus dem Stamm. Dabei bleiben sie immer in einem ähnlichen Bewegungsradius innerhalb dem der Füße und Hände. Sie sind stets leicht geöffnet und nie überstreckt, damit Arme und Beine ihre leichte Beweglichkeit erhalten.
Hände und Füße stehen in einer Beziehung wie die Wurzelspitzen und die Blätter eines Baumes. So wie die Baumkrone kaum über den Wurzelbereich hinausragt, bleiben auch in der Bewegung Hände und Füße innerhalb eines gemeinsamen Rahmens. Sie verbinden uns mit der Umwelt und leiten Energie von dort in den Torso und damit ins untere Energiezentrum (Dantian 丹田) und umgekehrt von dort nach außen.
Die drei äußeren Harmonien sorgen für die Auflösung von Energieblockaden und machen den Weg frei für den ungehinderten Fluss des Qi 氣.
Die drei inneren Harmonien
Die drei inneren Harmonien regeln den Fluss der Energie:
- Der Geist (shen 神) lenkt die Intention (yi 意)
- Die Intention (yi 意) lenkt das Qi 氣
- Das Qi 氣 lenkt die Kraft (li 力)
Shen 神 ist der Geist, die Kraft der Persönlichkeit eines Menschen, der Shen 神 "wohnt" im Herzen. Wenn das Herz nicht aufgeregt und der Geist ruhig und klar ist, fällt es leicht, die ganze Konzentration, Achtsamkeit und Präsenz (yi 意) in eine bestimmte Körperregion zu lenken - sei es um einen heilenden Effekt zu erzielen oder die gesamte Energie eines Schlages auf die Handkante zu konzentrieren. Yi 意 ist nicht zu verstehen als vom Kopf her gesteuerte Absicht, sondern als das, was intuitiv gerade notwendig ist.
Die Intention yi 意 setzt also einen Fokus auf die Körperregion, die Energie benötigt und mobilisiert aus dem Energiereservoir (jing 精) des Menschen das erforderliche Qi 氣, das zu der fokussierten Region fließt - vorausgesetzt, dass der Weg frei ist: dafür sorgen die drei äußeren Harmonien.
Die Bewegung des Qi 氣 aktiviert die Muskeln, Faszien, Nervenbahnen, Durchblutung etc. - alle beteiligten physiologischen Strukturen - und damit die Kraft (li 力), die die Bewegung ausführt.
Die drei inneren Harmonien beschreiben also den Zusammenhang zwischen Achtsamkeit, Energie und Aktion, ohne den die Bewegungen im Qigong "leer", kraftlos oder übertrieben und unkoordiniert wirken und sich auch so anfühlen.